Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. (Römerbrief 14,8)
Kürzlich hörte ich beim Einkaufen jemanden rufen: «Dasch miine sini Täsche!». Ich horchte auf, denn die Mundartwendung ist selten geworden, bleibt aber präzise. Der Wemfall, der darin zu vernehmen ist, verdankt seinen lateinischen Namen «Dativ» nämlich dem Wort «dare»: geben. Er bezeichnet also zunächst einmal den Vorgang des Gebens und dann in der Folge das Ergebnis davon, den Besitz: «miine sini».
Ist man nicht in Berlin aufgewachsen («Ick liebe dir»), lässt sich der Dativ vom Akkusativ unterscheiden, in dessen Namen das Wort für «anklagen» steckt und mit dem wir in der Deutschschweiz (wenn auch anders als in Berlin) unsere liebe Mühe haben. Denn der Akkusativ zielt direkt auf etwas oder jemanden und verursacht dort einen Effekt. Der Dativ hingegen ist vorsichtiger, reservierter, bleibt eher bei der sprechenden Person.
«Ich liebe dich» birgt in sich die Erwartung, dass das Gegenüber mich zurückliebt und reflexartig mit «ich dich auch» reagiert. Berliner*innen sind da vielleicht klüger (Schweizer*innen scheitern schon beim «lieben»). «Ich vertraue dir» hingegen ist eher eine Art Selbstoffenbarung. Das Gegenüber muss nicht reagieren. Es reicht, dass ich mich in seinem Umfeld befinde.
Einer meiner diesjährigen Konfirmanden hat zur Frage, was für ihn zum Glücklichsein gehöre, den schönen Satz formuliert «Man soll sich selber leben». Darin steckt beides, Akkusativ und Dativ: Ich soll als ich selbst leben – und ich soll mir gegenüber leben als jemandem, dem ich angehöre und vertraue.
Mit «Herr» meint Paulus den Christus, den Menschen schlechthin also im Zustand der Erlösung. Er ist «miine sine» und liebt mir im Leben und im Sterben.
Wie ich mich wend und drehe, geh ich von dir zu dir;
die Ferne und die Nähe sind aufgehoben hier.
(Kirchengesangbuch Nr. 205)
Hansueli Hauenstein