Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn. (Genesis 1,27)
Edward Hopper (1882-1967) war einer der grossen Kunstschaffenden des 20. Jahrhunderts. Viele seiner Bilder haben sich tief ins kulturelle Gedächtnis eingegraben, sind zu wahren Ikonen der Popkultur geworden und haben weit über den Kreis von Kunstvernarrten hinaus ihre Wirkung entfaltet. Dazu gehören «Nighthawks», eine nächtliche Szene im New Yorker Greenwich Village, in der Gäste hinter hohen Fenstern in einer Bar vor sich hinstarren, oder «Gas», das eine Tankstelle vor der Kulisse eines bedrohlich wirkenden dunklen Waldes zeigt.
Hoppers Malstil gilt als «realistisch», womit gemeint ist, dass darauf «echt» wirkende Personen, Gegenstände, Räume und Landschaften zu sehen sind. Alles ist erkennbar, eigenen Erfahrungen zuzuordnen, und kommt so daher, als wären die Bilder gemalte Fotografien.
In Wirklichkeit hat Hopper seine Malereien aber komponiert: Sie sind seiner durch erlebte Szenerien genährten bildnerischen Phantasie entsprungen. Manchmal wird das deutlich, wenn Perspektiven und Grössenverhältnisse sich verschieben oder wenn Schattenwürfe der Physik widersprechen.
Die Art der Komposition ist es, die den Realitätsgehalt der Bilder ausmacht, weil sie hinter der gemalten Oberfläche eine wirkliche Welt darstellt, die geprägt ist von Ängsten, Hoffnungen, einer tiefen Einsamkeit und der andauernden Konfrontation mit der Flüchtigkeit und dem Ausgeliefertsein menschlichen Daseins. In «Nighthawks» ist die «reale» Vorlage für die männlichen Figuren der Künstler selbst. Im Bild verarbeitet er sein eigenes Leben.
Sie können diesen Text nun noch einmal lesen, aber anstelle von gemalten Bildern religiöse Szenerien setzen und an die Stelle von Edward Hopper die Urheber*innen biblischer Texte, deren Gottesdarstellungen getränkt sind von menschlicher Erfahrung.
Das Verschlossne zwing und rühr
durch dein heilig Bilde.
(Kirchengesangbuch Nr. 374)
Hansueli Hauenstein