Es sei aber eure Rede: «Ja, ja, nein, nein». Was darüber hinausgeht, ist vom Bösen. (Matthäus 5,37)
Nehmen wir den Verfasser des Matthäusevangeliums doch einmal beim Wort. Dann wird die Aufforderung, die uns sein Jesus hier präsentiert, zum Verwirrspiel. Denn einen Menschen, der uns nichts anderes zu sagen hat als «ja, ja, nein, nein» und zwar zusammenhängend und in dieser Reihenfolge, könnten wir leicht für verrückt halten.
Also was denn jetzt: Ja oder Nein – Zustimmung oder Ablehnung, Behauptung oder Bestreitung? Oder vielleicht doch beides zugleich, weil eine Zustimmung ohne vorsorgliche Ablehnung nach devoter Schleimerei schmeckt und eine Behauptung ohne mitgemeinte Bestreitung nach bornierter Arroganz? Oder weil der Böse ja tatsächlich weniger im Detail sitzt als in der Einfalt?
Gerade habe ich Urs Hafners grossartige neue Karl-Bürkli-Biographie gelesen. Dieser Bürkli (1823-1901), der «Sozialist vom Paradeplatz», war Sohn einer Zürcher Patrizierfamilie und Sozialdemokrat der ersten Stunde, Kapitalismusfeind und Konsumvereingründer, ein überzeugter Soldat und ein scharfer Kritiker des Militarismus, ein Kommunengründer im fernen Texas und ein Beizenwirt im Zürcher Niederdorf, ein Anti-Akademiker und ein unbestechlicher Historiker, ein Weltbürger und ein Patriot, ein sehnsüchtiger Utopist und ein bodenständiger Sachpolitiker, ein Gesellschaftsmensch und ein Einsamer.
Wiedersprüche so in und unter sich zu verknüpfen, dass sie produktiv werden, dass sie der Weltgestaltung dienen – ist es vielleicht das, was auch Matthäus bei seinem Jesus gefunden hat?
Lass uns einander, Gott, entdecken
mit Licht und Schatten, Ja und Nein.
(Kirchengesangbuch Nr. 741)
Hansueli Hauenstein