Volk wird sich gegen Volk und Reich gegen Reich erheben, und an vielen Orten wird es Erdbeben und Hungersnöte geben. Doch das ist erst der Anfang der Wehen. (Markus 13,8)
«Ohne Kriegserklärung einzumarschieren! Ich werde erst dann Frieden schliessen, wenn kein einziger bewaffneter Feind mehr in meinem Land steht.»
Der Satz stammt von einem osteuropäischen Staatsmann. Erraten Sie, wer es sein könnte?
Der Sprechende ist der in europäischen Kreisen wegen seiner Umgänglichkeit beliebte russische Zar Alexander I. Die Zeit ist das Jahr 1812. Der Angreifer, der ohne Kriegserklärung in russisches Territorium einmarschiert, ist Kaiser Napoleon I., der Anführer einer Grossmacht, ein skrupelloser und machthungriger Taktiker.
Heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Alles andere ist auf zur Verzweiflung treibende Weise gleichgeblieben: die politische Rhetorik, die aggressive militärische Taktik, die diplomatischen Verrenkungen, die massive Aufrüstung auf allen Seiten, der latente «Kriegsrausch in gewissen Kreisen» (A. Berset), die unzähligen militärischen und zivilen Opfer – nachzulesen in Leo Tolstois grossartigem Roman «Krieg und Frieden».
«Der Krieg begann», schreibt Tolstoi einleitend zum dritten Teil seines Werkes, «das heisst, es vollzog sich ein Ereignis, das aller menschlichen Vernunft und der menschlichen Natur Hohn sprach. Millionen von Menschen verübten gegeneinander so unzählige Übeltaten wie Betrug, Verrat, Diebstahl, […] Raub, Brandstiftung und Mord, dass viele Jahrhunderte nicht ausreichen würden, um alle Schandtaten in der Chronik sämtlicher Gerichte der Welt zu verzeichnen; die Menschen der damaligen Zeit aber sahen ihre eigenen Taten nicht als Verbrechen an.»
Die «damalige Zeit» ist offensichtlich längst nicht vergangen. Wird sie es je sein?
Wir schauen aus nach Frieden
von jedem Berg und Turm
und sehn, wie Teufel schmieden
zu neuem Krieg und Sturm.
(Kirchengesangbuch Nr. 820)
Hansueli Hauenstein