Werden Deine Wunder in der Finsternis bekannt werden
und Deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens?
(Psalm 88,13)
Ich stehe auf, weil ich einen Gedanken habe, der nach einem Tun verlangt. Ich mache einen Schritt in die richtige Richtung und habe vergessen, was und wohin ich wollte. Der Gedanke kehrt nicht zurück. Das Tun bleibt aus. Die Welt bekommt einen haarfeinen Riss.
Ein solcher Riss bildet sich am Boden eines Schwimmbeckens, das von allerlei Menschen aufgesucht wird. Eine eigenartige Ordnung und das Gefallen an der Wohltat des Wassers verbinden sie. Julie Otsuka erzählt davon in ihrem Roman «Solange wir schwimmen».
Eine dieser Schwimmerinnen ist Alice, die Anzeichen von Demenz zeigt. Sie verliert ihren Ort im Pool, der bald behördlich geschlossen wird. Stattdessen kommt sie in ein Pflegeheim. Besuche bleiben aus. Vergessen und Einsamkeit nehmen überhand. Alices Tochter erzählt uns davon.
Ist das ein Fluch oder ein Segen? Ist der feine Riss in meiner Welt der Anfang der Katastrophe oder der Ort, wo sie sich öffnen kann für Anderes, Helleres, Fremdes oder Eigenes?
Von Gott vergessen zu werden, ist in der Bibel ein Unglück, ja das Unglück überhaupt. Umgekehrt gilt Gottvergessenheit als Grundform menschlichen Versagens. Als aber der biblische Joseph im fremden Ägypten sein erstes Kind bekommt, gibt er ihm einen Namen, der an ein anderes Vergessen erinnert: «Denn Gott hat mich vergessen lassen all meine Mühsal», sagt er, «und das ganze Haus meines Vaters».
Das Kind trägt dieses Vergessen weiter und verwandelt es so in Erinnerung. Ob sich das von Gott auch sagen liesse?
Ich lass mich dir und bleib indessen,
von allem abgekehrt, dir nah;
ich will die Welt und mich vergessen,
dies innigst glauben: Gott ist da.
(Kirchengesangbuch Nr. 510)
Hansueli Hauenstein