Ja, der Ewige hat die Menschen weit entfernt und die Verlassenheit ist gross inmitten des Landes. (Jesaja 6,12)
Auf dem Bahnhof fährt ein Zug ein und bleibt vor mir stehen. Es ist nicht der, in den ich einsteigen will. Deshalb habe ich Zeit, durch die Zugfenster ins Innere zu schauen.
An den Fenstern aufgereiht sitzen da Menschen paarweise einander gegenüber, jeder und jede von ihnen mit einem Gerät in der Hand. Einige schauen nur darauf, andere sprechen dabei vor sich hin. Ab und zu lehnt sich jemand zurück, Stöpsel in den Ohren, schliesst die Augen, offenbar dem lauschend, was aus dem Gerät zu hören ist.
Im vierten Jahrhundert ziehen sich junge ägyptische Christen (und vermutlich auch Christinnen) in die Wüste zurück. Sie suchen dort einen Ort, wo sie ihren Traum der völligen Unabhängigkeit von allen materiellen und sozialen Bindungen leben können. Askese ist angesagt. Kommunikation findet fast nur noch mit dem statt, was sie als das Göttliche denken. Tatsächlich führen sie wohl eher eine Art religiös überformtes Selbstgespräch.
Einige dieser Einsiedler treiben die Askese so weit, dass sie ihr Leben meterhoch über der Welt auf einer Säule verbringen. Diese «Säulenheiligen» werden paradoxerweise bald zu bewunderten Stars, eigentlichen Influencern. Der Rückzug ins Innenleben und in eine virtuelle Kommunikation wird zum Hype.
Die Menschen im Zug sitzen noch auf weichen Sitzen. Säulen sind nicht zu sehen. Vermutlich halten wir diese in den Händen oder sie befinden sich in unserem Innern.
Den keine Meere fassen
und keiner Berge Grat,
hat selbst sein Reich verlassen,
ist dir als Mensch genaht.
(Kirchengesangbuch Nr. 696)
Hansueli Hauenstein