Soll ich meinen Erstgeborenen hingeben für meine Vergehen, die Frucht meines Leibes für meine Verfehlungen? Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Er von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte lieben und achtsam mitgehen mit deinem Gott. (Micha 6,7-8)
Im Juli 1946 besprach der walisische Dichter Dylan Thomas in einer BBC-Sendung das poetische Werk seines Berufskollegen Wilfred Owen. Dieser war als Fünfundzwanzigjähriger kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs in Flandern gefallen. Thomas war zu dieser Zeit vier Jahre alt. Zur Zeit der Sendung hatte er einen weiteren Weltkrieg erlebt.
Seine Besprechung der Gedichte Owens begann er mit einem Zitat und fügte dann an: «Und das ist Wilfred Owens Vorwort zu einem Band seiner Gedichte, der England und der unduldsamen Welt die Dummheit, Unnatur, Entsetzlichkeit, Unmenschlichkeit und Ununterstützbarkeit des Krieges zeigen und die heroischen Lügen entlarven sollte, so dass alle sie erleiden und sehen konnten: die Bereitwilligkeit der Alten, die Jungen zu opfern, die Gleichgültigkeit, die Trauer, die Seele der Soldaten.»
Der Mensch, der im Michabuch spricht, könnte eine Frau sein, deren Sohn wie Wilfred Owen oder wie einer der Soldaten in der Ukraine auf dem Schlachtfeld «geopfert» wurde. Die Menschen, zu denen sie und Dylan Thomas sprechen, sind wir.
Es ist uns gesagt, was gut ist. Aber es scheint uns wenig zu kümmern, denn die sinnlosen Opfer und die heroischen Lügen gehen weiter.
Lauf, Wort, durch alle Strassen,
in hoch und niedrig Haus,
und ruf in allen Gassen
ein hörend Volk heraus.
(Arno Pötzsch, 1935, Kirchengesangbuch Nr. 256)
Hansueli Hauenstein