Nach diesen Worten ging Martha weg, rief heimlich ihre Schwester Maria und sagte zu ihr: «Der Meister ist da und lässt dich rufen.» (Johannes 11,28)
Marthas und Marias Bruder ist gestorben. Bei seinem Grab, dem Ort wo er jetzt ist oder eben nicht ist, begegnen sich Martha und Jesus. Sie kommen ins Gespräch über den Verstorbenen und seine Auferstehung. Diese wird, so Martha, am Ende der Zeiten stattfinden, wenn alle Toten wieder zum Leben erweckt werden. Er selbst, entgegnet Jesus, sei die Auferstehung, denn das Vertrauen in ihn gewähre Leben über den Tod hinaus.
Das ist – was uns bei Johannes nicht erstaunen sollte – einigermassen rätselhaft. Noch seltsamer ist aber die Reaktion Marthas. Sie geht wortlos weg und holt ihre Schwester Maria, angeblich im Auftrag des Meisters, tatsächlich aber in eigener Regie und «heimlich».
«Der Meister», berichtet sie ihrer Schwester, «ist da und lässt dich rufen». Interessant ist hier das «Dasein». Martha bzw. Johannes braucht dafür ein Wort, das in der christlichen Kirche grosse Karriere machen wird. Es bezeichnet bis heute die Hoffnung, Christus werde am Ende der Zeiten wieder kommen, wieder da sein in unserer Welt, ausgestattet mit einem neuen Leben für sich und seine Gemeinde.
Martha nimmt dieses Dasein vorweg. In ihrer Gegenwart ist der Meister «da», hier und jetzt. Deshalb kann sie sich auf den Weg machen und ihre Schwester zu ihm rufen, und damit zugleich an den Ort, wo ihr Bruder «da» ist und ein neues Leben findet.
So handelt Martha als Gläubige. Sie hat den Meister besser verstanden, als ihr bewusst ist.
So wach denn auf, mein Geist und Sinn,
und schlummre ja nicht mehr.
Blick täglich auf sein Kommen hin,
als ob es heute wär.
(Kirchengesangbuch Nr. 855)
Hansueli Hauenstein