Denn wo viel Weisheit ist, ist viel Verdruss. (Prediger 1,18)
Der Theologe und Kirchenhistoriker Adolf von Harnack (1851-1930) soll einmal, als er seine Bibliothek neu sortieren musste, zu einem studentischen Helfer gesagt haben: «Die Dogmatiker stellen wir zur schönen Literatur».
Christliche Glaubenswahrheit, wie sie seit Jahrhunderten dargelegt und gepredigt wird, als Belletristik, als reine Fiktion, gleichgeordnet den grossen Werken der Literaturgeschichte?
Von Harnacks sarkastisch gemeintes Bonmot hat einiges für sich. Wieso sollten Texte über das Göttliche nicht ebenso packend, berührend, anschaulich und vielschichtig sein wie ein spannender Roman?
Eine kirchenrätliche Stellungnahme oder auch nur schon eine schlichte Sonntagspredigt als fesselndes literarisches Werk, das erfahrungs- und phantasiegesättigte Horizonte eröffnet, anstatt angebliche Wahrheiten zu sezieren und wiederzukäuen: So etwas würde ich gerne spät abends im Bett noch lesen und ihm einen Platz bei den Grossen der Dichtkunst geben.
Nicht dass christliche Dogmatik zur schönen, sondern dass sie zur schlechten (weil langweiligen) Literatur wird, weckt mit Recht unseren Spott.
Die Wunder Gottes froh erzähl,
die er heut hat begangen
an dem trostlosen Häuflein klein,
das sass in friedsamer Gemein
und betet mit Verlangen.
(Kirchengesangbuch Nr. 503)
Hansueli Hauenstein