Leute, die nur sich selbst weiden – Wolken sind sie, die keinen Regen spenden und von den Winden weggeblasen werden; Bäume im Spätherbst ohne Früchte, doppelt abgestorben und entwurzelt; stürmische Meereswogen, die ihre Schandtaten wie Gischt emporschiessen lassen; verirrte Sterne, auf die für immer die dunkelste Finsternis wartet. (Judasbrief 12-13)
Der letzte Brief der Bibel hat es in sich. In nur gerade fünfundzwanzig Versen enthält er ein Feuerwerk virtuosester Sprachkunst. Öffnen wir die Wundertüte – in Predigten wohlweislich eine Seltenheit – werden wir überschüttet von Hass und Häme gegen Irrgläubige und Wahrheitsleugner. Das ist heftig, es ist lieblos – und es ist grossartig. Wieso?
Es gibt eine Kunst des Fluchens. Wohl kaum eine andere Sprachform ist so reich an blühender Phantasie und Metaphorik. Und ja: Fluchen ist grob und unmoralisch, parteiisch und hemmungslos, unfair und voller Ressentiments – Haltungen, die wir zu Recht verachten.
Bis es uns selber preicht und wir die, die uns das Leben schwer machen, mit lauten Flüchen und der Faust im Sack zum Teufel wünschen – so wie es Menschen schon immer getan haben, wenn sie wie «Judas» und seine Leute an den Rand gedrängt, nicht ernst genommen, geplagt und ausgenommen werden.
Ohnmächtige Wut wird dann mächtige Sprache. Aber immerhin: die Faust bleibt im Sack.
Es mag sein, dass Frevel siegt, wo der Fromme niederliegt;
doch nach jedem Unterliegen wirst du den Gerechten sehn
lebend aus dem Feuer gehn, neue Kräfte kriegen.
(Kirchengesangbuch Nr. 697)
Hansueli Hauenstein