Und Gott machte die beiden grossen Lichter, das grössere Licht zur Beherrschung des Tages und das kleinere Licht zur Beherrschung der Nacht, und die Sterne. (Genesis 1,16)
Gegenwärtig tobt in den Feuilletons und Kommentarspalten ein Streit um kulturelle Aneignung. Es gehe nicht an, sagen die einen zum Beispiel, dass Reggae-Musik von Weissen gesungen werde, da auf diesem Weg alte kolonialistische Muster wiederbelebt würden. Das sei linkes Gutmenschentum, sagen die anderen, und niemand habe ihnen vorzuschreiben, was sie zu hören oder allenfalls zu schreiben und singen hätten.
Wahrscheinlich ist es wie so oft: das entschiedene Entweder-Oder verfehlt die Vielschichtigkeit der wirklichen Welt bei weitem. Das zu entfalten, ist hier nicht der Ort. Klar ist aber: Grundtexte der Kirche, wie wir sie in der Bibel finden, wären ohne kulturelle Aneignung nie entstanden. Schon der Schöpfungsbericht des ersten Mosebuches beruht auf einer Übernahme altorientalischer Welterschaffungsmythen. Etwas pointiert gesagt: ohne Babel keine Bibel.
Dazu kommt, dass diese Texte auch noch den eigenen Bedürfnissen entsprechend zurechtgestutzt wurden. Das beiläufige «und die Sterne» ist ein heftiger Seitenhieb gegen den hohen Stellenwert der Astrologie in der Quellenkultur: political correctness steht da weit abseits.
Der Unterschied in der Aneignung von Reggae und Schöpfungsmytus liegt in der Verteilung der Macht. Im ersten Fall bedienen sich die Mächtigen bei den Ohnmächtigen. Im zweiten Fall ist es umgekehrt. Vielleicht ist das der entscheidende Punkt.
Schliess auf das Land, das keine Grenzen kennt,
und lass mich unter deinen Kindern leben.
(Kirchengesangbuch Nr. 213)
Hansueli Hauenstein