Denn wenn ich auch leiblich nicht da bin, so bin ich im Geist doch bei euch. (Kolosserbrief 2,5)
Die Verwaltungswut unserer Behörden und Institutionen nimmt zunehmend groteskere Formen an. Vor kurzem wollte ich mich in dem kantonalen Gefängnis, in dem ich arbeite, nach einem langen Arbeitstag pflichtbewusst ausstempeln. Meine Arbeitszeit wird dort nämlich im Minutentakt erfasst.
Leider hatte ich aber durch ein Versehen meine Ankunftszeit gelöscht, ein Akt, den die amtliche Software wenig zu goutieren schien. Anstatt mich mit dem üblichen etwas steifen, aber freundlichen «Auf Wiedersehen Hans Ulrich Hauenstein» zu verabschieden, beschied mich der Display mit einem strafenden Piepser und der denkwürdigen Botschaft «Sie sind nicht da».
Die Nachricht traf mich wie ein Schlag. Ich stand doch leibhaftig «da», nämlich genau an dem Ort, wo ein mit teurer Technik ausstaffiertes Gerät mir schlechthin die Existenz absprach. So leicht ist es also, dachte ich, Menschen in verwalteten Einrichtungen verschwinden zu lassen.
Aber dann erlöste mich ein Lachen aus dem müden Pessimismus. Ja, das Ding hatte ja recht. Ich war zumindest auf dem Sprung, mich aus dem Gefängnis wieder zu verabschieden – ein Privileg, das andere dort anwesende Menschen nicht haben. Und da sein oder nicht da sein, die Begegnungen mit gerade diesen Menschen sind nachhaltiger als meine leibliche Anwesenheit. Ich fühle mich ihnen auch dann noch verbunden, wenn ich ihren Ort verlassen habe.
Wie wäre es, fragte ich mich, wenn die behördliche Technik den Gefangenen attestieren würde, sie seien «nicht da»: Zynismus – oder ein Schritt in die Freiheit, der es auf physische Präsenz wenig ankommt?
Wir warten dein’, du hast uns ja das Herz schon hingenommen;
du bist uns zwar im Geiste nah, doch sollst du sichtbar kommen.
(Kirchengesangbuch Nr. 853)
Hansueli Hauenstein