Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.
(Genesis 1,2)
Etwas vom ersten, was Neugeborene nach Wärme, Halt und Stimme von anderen Menschen wahrnehmen, ist ihr Gesicht. Wenn jemand sich über das Kind beugt, bilden Augen, Nase und Mund die ersten Zeichen menschlichen Erkennens. Später erkennen wir ein vertrautes Gesicht in Bruchteilen von Sekunden, und drei Punkte genügen oft schon, um darin Mund, Nase und Augen zu ahnen. Das Fremde wird uns als Gesicht erkennbar und zeigt sich so in seiner Bezogenheit zu uns. Umgekehrt spiegelt sich mein Wesen ebenso auf dem eigenen wie auf und dem mir zugewandten Antlitz.
Das erste Gesicht der Bibel trägt nicht ein Mensch, sondern die chaotische Urflut, der Grund der Schöpfung: «Finsternis über Urwirbels Antlitz», heisst es wunderbar in der Übersetzung von Buber und Rosenzweig. Und dann: «Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser». Der göttliche Geist begegnet der noch ungestalteten Welt als einem Gesicht, das ihn anschaut. Daraus entsteht die Welt als Schöpfung.
Später ist es der Himmel, vor dessen Antlitz die Vögel vorbeifliegen, und das Angesicht der Erde, dem die Kräuter entspriessen. Die Menschenwesen jedoch begegnen nicht mehr dem Gesicht der Schöpfung, sondern dem Antlitz des Schöpfers, das ihnen bald zu nahe kommt. Adam und Eva verstecken sich vor ihm, und Kain ergreift vor ihm die Flucht, nachdem er angesichts Gottes sein eigenes Gesicht verloren hat.
Es leuchte über uns sein gnädig Angesicht;
sein Friede sei mit uns; sein Geist verlass uns nicht.
(Kirchengesangbuch Nr. 350)
Hansueli Hauenstein