Dein Wort ist meinem Fuss eine Leuchte,
ein Licht für meine Pfade.
(Psalm 119,105)
Schon auf den ersten Blick ist die Wirkung zwiespältig: vielen fällt gar nichts auf, einige lesen vermutlich, wenige halten inne, der oder diese wird sich aufregen. Die Rede ist von den knallblauen Plakaten mit den sonnengelben Bibelsprüchen, die da und dort unsere Strassenränder schmücken.
«Bibelsprüche»: schon der Ausdruck ist verdächtig. Denn tatsächlich werden da Sätze aus der Bibel aus ihrem Zusammenhang gerissen, sprachlich verkürzt und zu Parolen verfremdet. Was seinen Sinn in einer Erzählung, einem Brief, einem Gebet, einem Gesetzestext haben mag, wird auf eine Allerweltswahrheit reduziert, eingängig und simpel, mit einem Wort: plakativ.
Auf der anderen Seite hat dieses naive Vertrauen aber auch etwas Rührendes: die Annahme nämlich, es genüge, einen biblischen Satz zu zitieren, um ihm Geltung zu verschaffen und seinen Wahrheitsgehalt einzulösen. Viele pfarrherrliche und -frauliche Predigten rund um Bibelworte schaffen das nicht, mögen sie noch so lang und mühsam erarbeitet sein.
Und vielleicht ist es ja sowieso eher der Zusammenhang meines eigenen Lebens und Erlebens, der dem Spruch, den ich lese (wenn ich ihn lese) Sinn gibt. Sie können es ja ausprobieren, wenn Sie einen Augenblick innehalten und noch einmal den Bibelspruch vom Leuchten lesen.
Lauf, Wort, durch alle Strassen,/ in hoch und niedrig Haus,
und ruf in allen Gassen/ ein hörend Volk heraus!
(Kirchengesangbuch Nr. 256)
Hansueli Hauenstein, Pfarrer