Seid nicht so viel Lehrer und Lehrerinnen, meine Geschwister. Ihr wisst ja, dass gerade wir ein strengeres Urteil empfangen werden. Denn wir alle stolpern oft. (Jakobus 3,1-2)
Zu den in der Deutschschweiz gern gepflegten Tugenden gehört es, andere zu belehren. Ein Blick in die Kommentarspalte der grössten Schweizer Tageszeitung genügt, um sich das vor Augen zu führen. Vornehmlich Männer – aber nicht nur sie – erklären da anderen die Welt, gefallen sich im Ton der Entrüstung und des Besserwissens und unterbinden jeden Widerspruch mit einem barsch-endgültigen «Noch Fragen?»
Ja, tatsächlich hätte ich oft noch ganz viele Fragen, aber die werden dann gerne mit einem ebenso dezidierten «Träumen Sie weiter!» zum Schweigen gebracht.
Nun wäre es leicht, sich über eine derartig bornierte und floskelhafte Rechthaberei lustig zu machen oder über die sprachliche Unbeholfenheit, in der sie zum Ausdruck kommt. Aber damit stolperte ich ja nur selber in die Falle des Belehrens und Zurechtweisens.
Zudem gibt es gerade in der Kirche, in der ich mein Brot verdiene, eine lange Tradition des Besserwissens und des bevormundenden Monologs. Bescheidenheit und Zurückhaltung sind also angesagt. Jakobus spricht in diesem Zusammenhang in einem eingängigen Bild davon, die Zunge im Zaum halten zu können.
Damit belehrt er natürlich auch. Aber er tut es im Wissen darum, einem Urteil zu unterliegen, über das er selber nicht bestimmt. Vielleicht macht genau das den Unterschied.
Kehre, Jesu, bei uns ein, komm in unsre Mitte,
wollest unser Lehrer sein; hör der Sehnsucht Bitte.
Deines Wortes stille Kraft, sie, die neue Menschen schafft,
bilde Herz und Sitte.
(Kirchengesangbuch Nr. 165)
Hansueli Hauenstein, Pfarrer