Als der Drache erkannte, dass er auf die Erde gestürzt war, verfolgte er die Frau, die den Sohn geboren hatte. Aber der Frau wurden die beiden Flügel des grossen Adlers gegeben, damit sie in die Wüste an ihren Ort fliegen konnte. […] Da spie der Drache einen Strom von Wasser aus seinem Rachen hinter der Frau her, damit sie von den Fluten fortgerissen werde. Aber die Erde kam der Frau zu Hilfe; sie öffnete ihren Mund und verschlang den Strom. (Offenbarung 12,13-16)
Kürzlich wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass es neben den zwei bekannten Weihnachtsgeschichten im Neuen Testament noch eine dritte gibt.
Matthäus erzählt uns von dem verschlagenen König Herodes, den drei Weisen aus dem Morgenland, den Träumen Josefs und der Flucht nach Ägypten. Lukas hingegen berichtet von der Volkszählung, den Hirten, der vollen Herberge, der armseligen Krippe und dem Chor der Engel.
Gemeinsam haben diese beiden Geschichten, dass sie von der Geburt eines Kindes erzählen, das zum göttlichen Befreier und Erlöser, zum Messias, bestimmt ist. Sein Dasein ist von Anfang an aufs Äusserste bedroht, aber auf wundersame Weise wird es zum Leben erwählt.
In der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel, begegnet uns dieses gleiche Motiv noch einmal. Diesmal wird die Bedrohung nicht durch einen politischen Funktionär oder durch soziale Randständigkeit symbolisiert, sondern durch ein mythisches Wesen, einen Drachen, und durch die ungeheure Flut, die sich aus seinem Maul ergiesst; und für die Rettung sind nicht Engel zuständig, sondern ein Adler, ein Wesen aus dem freien Reich der Lüfte und des Geistes, und sein Gegenstück, der feste, bergende, tragende Erdboden.
Daraus lassen sich keine Weihnachtsidyllen fabrizieren. Dafür sind die Bilder zu fremd, zu traumartig, vielleicht auch zu beängstigend. Vielleicht zeigen sie uns aber gerade so die Tiefen unserer weihnächtlichen Hoffnung.
Kind, von dem die Mutter singt,
Leben, das uns Leben bringt,
Frucht, die in der Erde reift,
Geist, der unsern Geist ergreift.
(Kirchengesangbuch Nr. 430)
Hansueli Hauenstein