Wer dir flucht, sei verflucht, und wer dich segnet, sei gesegnet! (Genesis 27,29)
Der Deckel der Tomatendose klemmt, und schon während ich daran ziehe, weiss ich, es geht schief. Und tatsächlich, die Sauce landet auf dem Hemd und der Fluch auf meinen Lippen. Danach ist das Hemd versaut, aber mir ist wohler, auch wenn ich nicht so genau weiss, wieso, und noch weniger, wen ich da verflucht habe.
Flüche gehören wohl zu den Urformen religiöser Rede und begegnen uns auch in der Bibel. Den ersten Fluch äussert dort der Herrgott persönlich, nämlich als die Schlange seinen schönen Schöpfungsplänen in die Quere kommt und dafür Schimpf und Schande erntet.
Später, jenseits von Eden, sind es dann die Menschen, die nun fluchen und einander verfluchen, das heisst einander klein machen (so eine der Grundbedeutungen von «fluchen» im Hebräischen), indem sie den Zorn Gottes herabbeschwören. Dabei sind, was die Wortwahl betrifft, der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Ja, Flüche gehören wohl zu den kreativsten Sprechakten überhaupt, und auch Menschen, die sonst wenig Neigung zum poetischen Reden zeigen, können es darin zu wahrer Meisterschaft bringen.
Die Erleichterung, die es bringt, sein Bezug auf eine göttliche Instanz, seine schöpferische Kraft bringen das Fluchen in die Nähe des Gebets. Und tatsächlich ist das, was hinter dem verniedlichenden mundartlichen «Gopf» steckt, ja nichts anderes als ein Gebet, eine Bitte um die eigene Verdammung nämlich, sollte mein Unmut (zum Beispiel über die idiotische Dose) unbegründet sein.
Sich in der Wut selbst zu verfluchen ist das eine, anderen den göttlichen Zorn an den Hals zu wünschen und sie so «abezmache» etwas anderes.
Vielleicht verhält sich das Fluchen zum Anfluchen ähnlich wie das Beten zum Anbeten.
Du wirst ein Fluch, dagegen
verehrst du mir den Segen.
(Kirchengesangbuch Nr. 441)
Hansueli Hauenstein