Meine Vertrauten sind Finsternis. (Psalm 88,19)
Ein Gebet, das mit dem Erkennen des Dunkels schliesst, passt schlecht in die Welt der Wohlfühlspiritualität und göttlichen Herrlichkeit, wie sie auch in den Kirchen gerne gepflegt wird.
Dass nach dem Verlust aller menschlichen Nähe nur noch ein verborgener, nachtschwarzer Ort wartet, könnte leicht als Zeichen depressiver Aussichtslosigkeit missverstanden werden (und wird es auch, wie ein Blick in die Auslegungen zeigt).
Die Finsternis, von der dieser betende Mensch spricht, bevor er oder sie verstummt, ist allerdings weder bedrohlich, noch lebensfeindlich, sondern Teil des Vertrauten und Bergenden, das ich erkannt hatte und das mich erkannt hatte, bevor Menschen sich meiner annahmen.
Gestern sah ich einer Nachtkerze zu, deren Blüten sich in der anbrechenden Dämmerung öffneten. Sie taten es, als hätten sie sehnsüchtig auf diesen Augenblick gewartet, in dem das Licht des Tages dem Dunkel weicht, in dem ihr Dasein sich entfaltet.
Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
(Kirchengesangbuch Nr. 372)
Hansueli Hauenstein, Pfarrer