Gut ist es, am Morgen Deine Zuneigung zu preisen
und Deine Beständigkeit in den Nächten.
(Psalm 92,3)
Luther übersetzte anders: Das ist ein köstlich ding … des morgens deine Gnade und des nachts deine Warheit verkündigen. Darin gefällt mir das Köstliche. Mit Gnade und Warheit habe ich eher meine Mühe. Gnade hat mittlerweile den Beigeschmack des Schulterklopfens und Wahrheit ist billig geworden (sie wird gegenwärtig mit Meinungen verwechselt).
Im biblischen Text steckt gottseidank noch anderes: nämlich eine freundliche, liebevolle Zuneigung und eine zuverlässige Beständigkeit.
Letztere zeigt sich, wenn ich am Abend mich und meine Welt verlieren und mich dem fremden und unergründlichen Schlaf anvertrauen kann. Dann bin ich froh, dass andere meine Welt aufrecht erhalten: so viele, die um mich herum für den nächsten Tag sorgen. In ihnen gründet das Vertrauen in ein neues Erwachen; sie spiegeln die göttliche Treue.
Die Zuneigung begegnet mir im Tageslicht, das mein Erwachen begleitet, oder im Mut zum Aufstehen in ein neues Jahr hinein und in eine Welt, die ohne die Erfahrung liebevoller Freundlichkeit fremd und finster bliebe.
Am Morgen will ich singen / im Licht, das du mir schenkst.
Den Tag möchte ich verbringen / wie du mein Leben denkst.
Der Abend wird verstehen, / wie du die Welt gedacht.
Und singend werd ich sehen / dein Licht in meiner Nacht.
(Georg Schmid, Kirchengesangbuch Nr. 50)
Hansueli Hauenstein