Die Liebe Gottes hat sich so unter uns gezeigt, dass Gott seinen einzigartigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Diese Liebe besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern darin, dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat, um unsere Vergehen zu sühnen. (1. Johannesbrief 4,9-10)
In Johann Wolfgang von Goethes Roman «Wilhelm Meisters Lehrjahre» verliebt sich die verführerische Schauspielerin Philine in den Titelhelden Wilhelm. Sie leistet ihm manchen Liebesdienst, was Wilhelm aber unangenehm ist, da er sich der jungen Frau gegenüber dadurch zu Dank verpflichtet fühlt. Er möchte sich deshalb aus dieser Beziehung lösen, und es kommt zu folgendem Dialog zwischen dem ungleichen Liebespaar:
«Ich bin unruhig, solange Sie um mich sind: denn ich weiss nichts, womit ich Ihnen die Mühe vergelten kann. Geben Sie mir meine Sachen, die Sie in Ihrem Koffer gerettet haben, heraus, schliessen Sie sich an die übrige Gesellschaft an, suchen Sie ein ander Quartier, nehmen Sie meinen Dank, und die goldne Uhr als eine kleine Erkenntlichkeit; nur verlassen Sie mich; Ihre Gegenwart beunruhigt mich mehr, als Sie glauben.» Sie lachte ihm ins Gesicht, als er geendigt hatte. «Du bist ein Tor», sagte sie, «du wirst nicht klug werden. Ich weiss besser, was dir gut ist; ich werde bleiben, ich werde mich nicht von der Stelle rühren. Auf den Dank der Männer habe ich niemals gerechnet, also auch auf deinen nicht; und wenn ich dich liebhabe, was geht’s dich an?»
Weihnachten gilt als Fest der Liebe. Damit sind heute meistens Familienharmonie und Geschenke gemeint. Wie weit das tragfähig und fruchtbar ist, sei einmal dahingestellt. In der biblischen Tradition geht es um die Liebe Gottes, die sich in seiner Menschwerdung äussert. Gott sucht mit uns eine Liebesbeziehung. Sie erreicht uns ungefragt als ein Geschenk. Deshalb können wir sie auch so leicht ignorieren, abwehren, verleugnen, verniedlichen oder religiös überhöhen.
Versuchen Sie doch einmal, das Gespräch zwischen Wilhelm und Philine als Dialog zwischen Ihnen und Ihrem Gott zu lesen. Das könnte erhellender sein als manche Weihnachtsbeleuchtung.
Liebt den, der vor Liebe brennet;
schaut den Stern, der euch gern
Licht und Labsal gönnet.
(Kirchengesangbuch Nr. 401)
Hansueli Hauenstein