Und der Ewige schaut auf Abel und seine Darbringung und auf Kain und seine Darbringung schaute er nicht, und da wird ihm heiss und es sinkt sein Gesicht. Und der Ewige sagt zu Kain: «Warum wird dir heiss, und warum sinkt dein Gesicht? Ist es nicht so: Wenn du Gutes tust, erhebt es sich, aber wenn du nicht Gutes tust, lagert Schuld vor deiner Tür und trachtet nach dir – und du beherrschst sie.» (Genesis 4,4-7)
Nein: leicht zu lesen ist dieser Text nicht, weder in der Sprache, in der er zuerst aufgeschrieben wurde, noch in der sperrigen Übersetzung, die ich Ihnen hier zumute. Gratulation, wenn Sie überhaupt bis hier weitergelesen haben!
Die meisten Rätsel dieser kleinen Szene aus der Geschichte der Brüder Kain und Abel werden wir nicht lösen. Klar ist, dass hier, in der Urgeschichte, das zur Sprache kommt, was soziale Beziehungen unter Menschen grundlegend bestimmt. Denn Kain und Abel sind die Urbilder aller zwischenmenschlichen Beziehungen – sonst wären sie nicht Teil der Schöpfungserzählung, die ja nicht nur die Anfänge des Natürlichen, sondern auch des Sozialen ergründen möchte.
Heute wollen wir nur auf die Blicke schauen, die hier wie ein Leitmotiv das Geschehen bestimmen. Der Ewige schaut Abel an, und die Gegenwartsform signalisiert, dass diese Aufmerksamkeit bis heute anhält. Kain hingegen bleibt unbeachtet. Deshalb senkt sich sein Gesicht, verweigert er den Blickkontakt und versinkt er in der Hitze von Zorn, Scham und dem noch unterdrückten Reflex, den zur Rechenschaft zu ziehen, dem er dafür die Schuld zuschiebt.
Diese Verweigerung des Blicks, dieser Einschluss in sich selbst, wird sich in ohnmächtiger Gewalt entladen. Zugleich spiegelt sie die Erfahrung, selber unbeachtet und deshalb bedeutungslos zu sein – die tiefste Kränkung, die Menschen erfahren können.
Nach dir, mein Helfer, rufe ich am Tage.
Du hörst mich nicht.
Nachts find ich keine Ruhe;
denn du verbirgst, wie weh es mir auch tue,
dein Angesicht.
(Kirchengesangbuch Nr. 14)
Hansueli Hauenstein