Dein Reich komme! (Matthäus 6,10)
Mit dem «Reich» haben wir im letzten Jahrhundert schlechte Erfahrungen gemacht. Niemand, der oder die nur einigermassen bei Trost ist, kann sich zurückwünschen, was darin zur Geltung gekommen ist: eine unvergleichliche Entlarvung menschlicher Gewalt und Erbärmlichkeit.
Das Wort, das Matthäus im Unservater verwendet, bezeichnet den Wirkkreis eines Königs: den Bereich, wo er seinen Einfluss geltend machen kann (im Wort «Reich» schwingt diese Bedeutung noch mit). Der Einfluss des «Vaters» soll also seine Wirkung in der Welt entfalten, in der wir leben. «Seine» Macht soll ihren Ort unter (und vielleicht auch in und zwischen) uns finden.
Die Betonung liegt dabei auf dem «Dein». Es schafft eine Gegenbewegung zu allem menschlichen Machtmissbrauch, zu Gewalt, Geltungssucht, Unmenschlichkeit und Verblendung, wie sie am erschreckendsten im «Dritten Reich» zum Ausdruck gekommen sind. Die göttliche Gegenwart hat darum immer auch eine kritische Funktion. Sie ist ein Gegengewicht und eine Gegenbewegung zu jeder Form von Totalitarismus.
Jesus hat den Charakter dieser Bewegung an anderer Stelle beschrieben. Sie gleicht dem beharrlichen Wachstum eines Baumes, dem stillen Aufgehen eines Teiges, dem klugen Ansichbringen eines Schatzes, dem fassungslosen Wiedersehen mit einem verloren geglaubten Menschen. Dafür lohnt es sich zu beten; und zu leben.
Der Himmel, der kommt,
das ist der kommende Herr,
wenn die Herren der Erde
gegangen.
(Kurt Marti, Kirchengesangbuch Nr. 867)
Hansueli Hauenstein