Wie sollten wir Sein Lied singen auf fremder Erde?
(Psalm 137,4)
Amanda Gorman ist Schriftstellerin, Soziologin und – wie sich letzten Mittwoch gezeigt hat – eine höchst begabte Performerin. Ihr Gedicht «The Hill We Climb» (Der Hügel, den wir erklimmen) war der Glanz- und Hoffnungspunkt der Feier in Washington DC.
Gormans Dichtung steht in einer langen Tradition. Sie verbindet Pathos – also sprachliche Leidenschaft – mit einprägsamen Bildern, politische Analyse mit poetischer Kraft. Die Bildwelt der Gospel Songs aus der schwarzen Geschichte Amerikas ist darin zu finden, und darin wiederum die Sprachkunst biblischer Tradition.
Insbesondere in den Psalmen kommt sie zum Ausdruck. Gerade in ihnen zeigt sich die Kraft der Worte, die dem sprachlosen Leiden eine Gestalt gibt und es so mitteilbar macht, begreiflich vor allem für die, die selber weinend im fremden Land sitzen. Dort haben sie ihre Harfen an die Bäume gehängt und ihre Lieder sind verstummt.
Um sie wieder zum Leben zu erwecken, braucht es die Kraft der Poesie, egal ob biblisch oder nicht, braucht es mutige und begabte Menschen wie Amanda Gorman, und – braucht es uns.
Dank für die Lieder, Dank für den Morgen,
Dank für das Wort, dem beides entspringt.
(Kirchengesangbuch Nr. 533)
Hansueli Hauenstein, Pfarrer