Sieh nicht tatenlos zu, wie der Esel oder das Rind deiner Geschwister auf dem Weg zusammenbricht. Tue nicht so, als ginge dich das nichts an, sondern hilf dem Tier wieder auf die Beine! (5. Buch Mose 22,4)
Der homo sapiens meldet sich dieser Tage wieder einmal mit einem untrüglichen Zeichen seiner erhabenen Weisheit: dem Kühe-Erschrecken. Zu den karibischen Rhythmen eines an sich schon hochintelligenten Songs wackeln jugendliche Männlein und Weiblein (zweibeinig) auf Erwachsene (vierbeinig) zu, die sich zuerst zu fragen scheinen, was um Himmels willen das denn soll. Danach fliehen sie erschrocken vor diesem Übermass an Brillanz. Was bleibt ihnen sonst auch übrig – und was mir als ratlosem Zeugen solchen Tuns?
Das ganze wird mit den kleinen Geräten gefilmt, die heute ja schon weitgehend das Hirn ersetzen (das menschliche), und dann ins sogenannte Netz gestellt, auf eine sogenannte soziale Plattform mit dem geradezu genialen Namen TikTok – wow!
Dass es ausgerechnet die Kühe trifft, ist vielleicht symptomatisch. Bedächtig, bescheiden und feinfühlig wie sie sind, eignen sie sich hier wie ja auch sonst perfekt als Opfer menschlicher Erfindungskunst.
In der Bibel kommen Kühe als Schlacht- und Arbeitstiere sowie als Milchquelle vor. Der Prophet Amos benutzt «Kuh» als Schimpfwort für bornierte reiche Frauen, die ihm ein Dorn im Auge sind. Über all das sind wir in den letzten dreitausend Jahren kaum hinausgekommen (einmal abgesehen von der Effizienz der sogenannten Fleisch- und Milch«produktion»).
Ein Lichtblick ist da allenfalls der eingangs zitierte Satz. Er erinnert irgendwie an die spätere Geschichte vom barmherzigen Samaritaner. Aber klar, bei TikTok geht es ja nur um dummes Rindvieh; ob das mit oder ohne Handy sei einmal dahingestellt.
Doch ach, der Mensch ist
von den Wesen allen
am tiefsten in die Schuld
und Schand gefallen. (RG 7 nach Psalm 8)
Hansueli Hauenstein, Pfarrer