Denn tausend Jahre sind in deinen Augen so kurz wie ein gerade vergangener Tag – sie sind nicht länger als ein paar Stunden in der Nacht. (Psalm 90, 4)
Bei einem Spaziergang sagte mein Mann zu mir heute, bald ist wieder Weihnachten. Jedes Jahr lache ich über den Satz, wenn er mir den schon im Frühling vorankündigt. Heute dachte ich erst über den Satz nach und lachte nicht. Je älter ich werde, desto schneller vergeht für mich die Zeit. Geht es uns allen so?
Meine Schwiegermutter starb im Alter von 60 Jahren, sie kämpfte fast 18 Jahre lang mit dem Krebs. Ihre Art Menschen zu helfen, Flüchtlinge zu unterstützen, für Kranke und Arme da zu sein, hat mich fasziniert.
Meine Oma war über 90 Jahre, als sie starb. Den zweiten Weltkrieg machte sie durch, da traf sie meinen Opa, der schwer verletzt war. Sie spendete ihm Blut und als Medizinschwester half sie den Kranken. Eine Hungersnot überstand sie, bei der Geburt ihres Sohnes ist sie fast gestorben.
Das Gemeinsame an den beiden war, sie waren die wunderbarsten Familienmenschen, die ich in meinem Leben je begegnete. Sie waren und bleiben für mich Vorbilder.
Der Unterschied zwischen den beiden war aber nicht nur die 30 Jahre Altersabstand, sondern wie sie über das Leben und den Tod sprachen. Meine Schwiegermutter war tief gläubig, meine Oma, geprägt durch den Sozialismus in der Sowjetunion, war eine überzeugte Atheistin.
Das Gespräch, welches ich kurz vor deren Tod führen durfte, zeigte mir die beiden «Welten».
Auf die Frage, welche ich der Oma stellte, wie fühlt sich das an 90 Jahre alt geworden zu sein, antwortete sie leise und ängstlich: «Ich habe das Gefühl, nie gelebt zu haben: das Leben verging wie ein Tag».
Die gleiche Frage beantwortete auch meine 60 Jahre alte Schwiegermutter: «Ich durfte ein wunderschönes Leben hier haben, aber ich freue mich sehr auf das Leben bei Gott, denn die Schmerzen werden verschwinden und die Zeit wird nicht mehr rennen».
Gott, ich danke Dir für die Zeit, obwohl diese davon rennt.
Gott, ich danke Dir für die Menschen, welche meine Zeit füllen.
Anna Hemme-Unger