Wer recht lebt, kennt die Seele seiner Tiere,
doch das Herz der Schlechten ist grausam.
(Sprüche 12,10)
Die Tierheime leeren sich. Büsi, Hunde, Meersäuli und Chüngel finden neue Plätzchen bei Menschen, die Verlangen nach Lebendigem haben. Ihr weiches Fell, ihr wacher Blick, ihre Schutzbedürftigkeit oder Verspieltheit versprechen Zugänge zu einem Dasein, das nicht durch Verzicht und Rückzug bestimmt ist: Kein Leben auf Sparflamme, sondern ein Eintauchen in die warme, geheimnisvolle Welt unserer kleineren Geschwister.
Francesco, der Mann aus Assisi, hat die Tiere so benannt: fratelli minori. Darin schwingt Zärtlichkeit mit, aber auch der etwas trotzige Versuch, die eigene menschliche Erhabenheit zu bewahren. Im Gespräch mit seinen pelzigen und gefiederten Brüdern (und Schwestern) hat der heilige Mann das minori dann vergessen, stelle ich mir vor.
Es gibt dafür auch keinen Grund. Rainer Maria Rilke, ein anderer Feinfühliger, hat das gewusst. In seinem grossen Abgesang, der Duineser Elegie, sind wir Menschen es, die vom Grossmut unserer Geschwister leben: und die findigen Tiere merken es schon, / dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus sind / in der gedeuteten Welt.
Gott,
auch im Leben der Tiere findest du ein Zuhause.
Du birgst dich in ihnen,
dein lebendiges Dasein gewinnt in ihnen Gestalt.
In der Suche nach ihrer Nähe
suchen wir auch dich.
Hansueli Hauenstein, Pfarrer